Das menschliche Arbeiten, das weltverändernde Wirken,
vollzieht sich in drei Stufen.
Diese sind: […] Die große Idee, die kleinen Ideen, die kleinen Taten.

Ludwig Hohl, Notizen I/18, S. 23.

Porträt Ludwig Hohl
© Peter Friedli

Leben und Schaffen

Kindheit in Sirnach

Geboren wurde er als Arnold Hohl 1904 im glarnerischen Netstal. Der Berg Glärnisch und die Grossmutter prägten Ludwig Hohls erste Lebensjahre. Die Mutter Magdalena stammte aus einer örtlichen Familie von Papierfabrikanten, der Vater Arnold Hohl war reformierter Pfarrer. Die mächtige, karge Berglandschaft und das Bergsteigen tauchen als wiederkehrende Motive in Hohls Texten auf.

Arnold und seine jüngere Schwester Magda wuchsen ab 1910 im Pfarrhaus in Sirnach auf. Er schrieb schon als Kind Tagebuch, die Jugendtagebücher wurden publiziert. Hohl schildert darin seine autodidaktischen Lektüre-Pläne, den Schulalltag, Sehnsüchte nach Weite und Verstanden-Werden in einem spannungsvollen Familienleben. Die Einschränkungen durch den 1. Weltkrieg und Mithilfe im Pfarrhaushalt prägten Hohls Kindheit. Später zog die Familie nach Münchwilen, von wo aus Ludwig Hohl das Gymnasium in Frauenfeld besuchte. Sein Abgang von der Schule leitete entscheidende Veränderungen ein.

Aufbruch in Paris

Nach der abgebrochenen Matura lebte Hohl ab 1922 in Zürich. Er arbeitete an Gedichten, die 1924 in Zeitungen und 1925 als Bändchen veröffentlicht wurden. 1924 liess Hohl seinen Namen amtlich zu Ludwig ändern und trug als Beruf Schriftsteller ein.

Ab 1924 lebte Hohl mit seiner Partnerin, der Pianistin Gertrud Luder, mit Unterbrüchen bis 1931 in Paris. Aus dieser Zeit sind zahlreiche Notizbücher erhalten, die Hohl später Epische Grundschriften nannte. Hohl dokumentierte sein oft prekäres Leben im Künstler-Milieu, geprägt von Schaffensdrang, Alkohol, Drogen und Hunger. Auch eine Urform der Bergfahrt und Ansätze zu einem unvollendeten Roman Mitternachtsgesellschaft entstanden. Die Pariser Atmosphäre waren für Hohl von grossem Wert, auch wenn er sich schwer tat mit seinem künstlerischen Weg und keine Publikationsmöglichkeiten hatte. Von den Schattseiten der Grossstadt erholte er sich beim Bergsteigen in den französischen Alpen und an der Küste bei Marseille.

Rückzug nach Wien und Den Haag​

Nach einem Aufenthalt in Wien 1930/31 übersiedelte Hohl nach Den Haag. Mit seiner ersten Ehefrau Charlotte von Meyenburg teilte er ein Leben in bescheidensten Verhältnissen. In Holland gelang es Hohl, Erzählungen fertigzustellen, die 1943 unter dem Titel Nächtlicher Weg erschienen. Vor allem aber entwickelte er seine eigene Form von Denkprosa. Eine Auswahl davon, Nuancen und Details, erschien 1939. Die Urform der Notizen, eine chronologische Zusammenstellung aller Einfälle und Gedanken, die er in den letzten Jahren laufend auf dünne Zettel notiert hatte, erstellte Hohl 1936/1937 aus Angst vor Krieg und Selbstverlust.

Rückkehr in die Schweiz

Hohl konnte seine Poetik in Den Haags Provinzialität entwickeln, in einem Abseits, das aber von Einsamkeit, Armut und dem erstarkenden Nationalsozialismus überschattet war. Das politische Klima und die Schwierigkeiten zu publizieren, führten Hohl 1937 nach Genf. Von hier aus gelang es ihm, erste Verleger zu finden. Die kurze Ehe mit der Künstlerin Hanny Fries war Grundstein für eine lebenslange Freundschaft. Zwischen 1939 und 1944 erschienen erste zentrale Werke Hohls. Trotz seiner Polemik gegen Heimattümelei gelang es ihm zur Zeit der Geistigen Landesverteidigung, Texte in Zeitschriften zu platzieren und damit  die Hochachtung eines kleinen Publikums zu erreichen.

Krisenjahre in Genf

Ab 1945 beschäftigte Hohl ein Rechtsstreit mit dem Artemis-Verlag um die Publikation des zweiten Bandes der Notizen. Dieser endete für ihn 1951 siegreich vor dem Schweizerischen Bundesgericht. Der zermürbende Kampf fiel zusammen mit Hohls Vaterschaft. Die Beziehung zu seiner dritten Ehefrau Heidi Antoine zerbrach. Die Notizen, in die er Jahrzehnte investiert hatte, wurden kaum wahrgenommen.

Um 1950 gab diese Krise kurzzeitig kreative Energie frei und Hohl stellte eine erste Fassung der Nachnotizen. Von den hereinbrechenden Rändern fertig. Er wurde sich jedoch mit keinem Verlag einig. Dann wurde es lange still um ihn. Durch die Schweizer Presse geisterten Berichte über den Exzentriker, der seine Manuskripte an Wäscheleinen aufhänge und im Rausch deklamiere.

Hohl war bekannt, aber wurde kaum gelesen. Er wurde zum «writer’s writer», zum «enfant terrible» der Schweizer Literaturszene. Autoren bewunderten seine Konsequenz, seine Konzentration auf das Werk.

Späte Anerkennung

1964 erscheinen Nuancen und Details in zweiter Auflage. 1967 wurden endlich einige der schon fast zum Gerücht gewordenen Nachnotizen in Dass fast alles anders ist publiziert. Eine Revue de Belles-Lettres (Genf) wurde Hohl 1969 gewidmet. Und um 1970 wurde Suhrkamp auf ihn aufmerksam. Nachdem der Verleger Siegfried Unseld durch Vermittlung von Adolf Muschg Hohl in Genf persönlich kennen gelernt hatte, folgten Neuauflagen seines Werks im renommierten Verlag.  

Mit einem letzten Kraftaufwand stellte Hohl die Bergfahrt fertig. 1975, fast 50 Jahre nach den ersten Enwürfen, wurde sie publiziert.

In den 1970er-Jahren gelangte Hohl als Suhrkamp-Autor zu später Anerkennung. Er gewann 1970 und 1976 den Preis der Schweizerischen Schillerstiftung, 1978 den einmalig verliehenen Robert-Walser-Centenarpreis und 1980 den Petrarca-Preis. Mit seiner fünften Frau Madeleine de Weiss lebte Hohl bis zu seinem Tod 1980 in Genf. Er wurde auf dem Cimetière des Rois (Plainpalais) begraben.

Papierarbeit

Hohl beschrieb Papier in allen möglichen Formen und Formaten. Die handschrift­lichen Notate von
Die Notizen oder Von der unvoreiligen Versöhnung illustrieren dies eindrücklich: Es handelt sich um Berge von Zetteln in einer Vielfalt verschiedener Grössen und Beschaffenheit.

30 Hefte, Epische Schriften bzw. Grundschriften genannte Manuskripte oder Typoskripte heftete er eigenhändig und versah sie mit einem selbst gefertigten Einband, etwa das sogenannte dreibändige Grundmanuskript der Notizen. Er fertigte aus dem Typoskript ein Buch an. Solche Unikate bewahrte er bis zu seinem Tod auf oder gab sie vor dem Zweiten Weltkrieg, bei Freunden und Freundinnen in Verwahrung.

Über Hohls Lebensumstände und Lektüren geben seine Agenden der 1930er-Jahre und die sogenannten Journale ab Mitte der 1950er-Jahre sowie Briefe Auskunft. Unter Journalen sind im Fall von Hohl nicht eigentliche Tagebücher, sondern tägliche Aufzeichnungen auf gesammelten Zetteln zu verstehen; die Notate reichen bis in die kleinsten und privatesten Details des Tagesablaufs hinein.

Hohl notiert seine konstante materielle Notlage, Arbeitsvorgänge, seinen zeitlichen Aufwand und die Zahl der an einem Tag geschriebenen Seiten, daneben aber auch Details über seinen Gesundheitszustand, seine Ernährung, Begegnungen und Telefonate, Veranstaltungen, besondere Ereignisse.

Bereits im dreissigsten Lebensjahr lag sein Werk zur Hauptsache vor – aber nur die frühen Gedichte waren publiziert. In den Erstausgaben von Nuancen und Details III und Vom Arbeiten, 1942 bzw. 1943 in Genf im Selbstverlag erschienen, sind sechs Werke aufgeführt, die bereit waren zum Druck.

Die Überarbeitung, Fertigstellung und Publikation der meisten dieser Texte erfolgte bis Mitte der 1970-er Jahre. Die parallel dazu wachsende Anerkennung und Rezeption bedeuteten für Hohl eine grosse Befriedigung. Die Determination und Bedingungslosigkeit, die sein lebenslanges Schaffen auszeichnen, fanden späte Anerkennung.

Vita

Kindheit in der Ostschweiz
1904–1924
Geboren am 9. April 1904 in Nestal (GL) wuchs Hohl zuerst dort, danach in Sirnach (TG) auf. Bis 1922 besuchte er die Kantonsschule in Frauenfeld (TG), wurde von der Schule ausgeschlossen und lernte danach selbstständig auf die Matura. Mit 18 verliess er seine Eltern, die er danach kaum mehr sah.
Frühwerk in Frankreich
1920er-Jahre

Mit seiner Jugendfreundin Gertrud Luder zog Hohl nach Paris. Er entschied sich für ein Leben als Schriftsteller. Hier entstand bis 1930 sein Frühwerk.

In Frankreich vollbrachte Hohl wie früher in der Schweiz auch alpinistischen Leistungen.

Aufenthalte in Wien und Den Haag
1930er-Jahre

Nach einem Aufenthalt in Wien zog Hohl 1931 nach Den Haag. Seine erste Ehefrau Charlotte von Meyenburg sorgte für ein kleines Einkommen.

Hohl verfasste in dieser Zeit Erzählungen, Berichte, Nuancen und Details und sein Hauptwerk Die Notizen oder Von der unvoreiligen Versöhnung.

Wohnsitz in Genf
1937–1980

1937 kehrte Ludwig Hohl in Schweiz zurück und lebte fortan in Genf. 1939 lernte Hohl die Malerin und Zeichnerin Hanny Fries kennen, sie wurde 1946 seine zweite Ehefrau.

In den 1940er-Jahren lag bereits fast sein gesamtes Werk vor. Hohl war Mitglied des Schweizerischen Schriftstellerverbandes (SSV).

Er schloss Freundschaften mit Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt, Kurt Marti, Adolf Muschg, Alexander J. Seiler.

Rechtsstreit mit Artemis-Verlag
1940er-Jahre

1948 heiratete Hohl seine dritte Ehefrau Heidi Antoine, 1949 wurde die Tochter Adèle geboren.

1944 erschien der erste Band der Notizen bei Artemis. Erst nach einem Rechtsstreit mit dem Verlag konnte 1954 der zweite Band erscheinen. Hohl reflektiert den Prozess, den sein Anwalt vor dem Bundesgericht gewann, im Bericht über Artemis 1949.

In Vergessenheit
1950er- und 1960er-Jahre

Um den Autoren wurde es still während der 1950er- und 1960er-Jahre. Es erschienen nebst dem 2. Band der Notizen auch eine Auswahl seiner Texte in kleineren Verlagen wie Vernunft und Güte, Wirklichkeiten, die Nuancen und Details und Dass fast alles anders ist.

1963 heiratete Hohl seine vierte Ehefrau Erna Tschanz, mit der er bis 1970 zusammenblieb.

Späte Anerkennung
1970er-Jahre

1967 erschienen die Nachnotizen. 1969 widmete die Revue de Belles-Lettres Hohl eine ganze Ausgabe.

Mit der Aufnahme bei Suhrkamp fand Hohl seine späte Anerkennung. Es folgten Lesungen in der ganzen Schweiz. 1978 erhielt Hohl den Robert Walser-Centenarpreis, 1980 den Petrarca-Preis.

1974 starb Hohls vermögende Mutter, womit sich seine bisher prekäre materielle Lage verbesserte, zeitgleich verschlechterte sich sein gesundheitlicher Zustand.

Tod in Genf
1980

Kurz vor seinem Tod heiratete Hohl seine fünfte Ehefrau Madeleine Constançon-de Weiss, die ihn während seinen letzten zwölf Jahren begleitet und gepflegt hatte.

Am 3. November 1980 starb Ludwig Hohl in Genf. Er ist auf dem Friedhof in Plainpalais begraben.